Eine für die meisten Einheimischen sicher eher unbekannte Begebenheit ist die Einrichtung jüdischer Ausbildungskibbuzim in Franken nach Ende des Zweiten Weltkrieges, so z.B. auch in Forkenhof.
Nach Kriegsende gab es ca. 200.000 überlebende KZ-Häftlinge und jüdische Migranten auf dem Gebiet der westlichen Besatzungszone. Der Hauptanteil bestand dabei aus Geflüchteten aus Polen, Ungarn, Tschechien, Rumänien und dem Baltikum, die entweder in den Lagern überlebt hatten oder nach Russland geflohen waren. In ihre frühere Heimat konnten oder wollten die allermeisten nicht mehr zurück, da viele Städte vollständig zerstört waren und sich die antisemitische Einstellung der lokalen Bevölkerung nach Kriegsende nicht einfach in Luft aufgelöst hatte.
Die Besatzungsmächte hatten zwar die Konzentrationslager befreit, sahen ihre Aufgabe allerdings nicht darin, sich um die ehemaligen Lagerhäftlinge zu kümmern. Auch unter der US-Militärführung gab es Antisemiten, z.B. den Chef der 3. US-Armee, General G. Patton, der in seinem Tagebuch notierte, viele meinten „…that the Decplaced Person is a human being, which he is not, and this applies particularly to the Jews who are lower than animals!“.
Auf der anderen Seite mussten viele jüdische Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern mit ehemaligen NSDAP-Funktionären oder Kollaborateuren zusammenleben, was für sie nach all dem Erlebten völlig unerträglich war.
Aufgrund vieler Beschwerden reiste bereits im Sommer 1945 der spätere erste Premierminister von Israel, David Ben-Gurion, durch Deutschland, um sich selbst ein Bild von der Lage der Überlebenden zu machen. Zusammen mit General Eisenhower entwarf er einen Plan zur verbesserten Unterbringung der jüdischen Flüchtlinge, die mehrheitlich mit großer Ungeduld auf ihre Ausreise nach Israel warteten.
Dies ging aufgrund der schwierigen politischen Lage allerdings bei weitem nicht so schnell, wie es sich die Betroffenen wünschten, weshalb man sich übergangsweise auf eine weitgehende jüdische Selbstverwaltung unter vorwiegend US amerikanischer Oberaufsicht einigte. Die finanziellen Mittel zur Ausstattung dieser Einrichtungen wurden dabei ebenfalls von jüdischen Organisationen aus den USA bereitgestellt.
Viele der überlebenden Kinder hatten keine Schulbildung, die jungen Menschen keine Berufsausbildung und wenige sprachen das in der zukünftigen Heimat gesprochene Hebräisch. Vor allen Dingen die führenden Rabbiner erkannten sehr schnell, dass neue Ziele und Aufgaben den traumatisierten Menschen am besten helfen konnten, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und wieder neuen Lebensmut zu gewinnen.
In den ländlichen Gebieten konfiszierte man deshalb mit Hilfe der Besatzungsmacht Bauernhöfe ehemaliger Parteifunktionäre und verwandelte sie in Trainingskibbuzim. Landwirtschaft und Handwerk waren den Juden seit dem Mittelalter untersagt, wurden aber von den zionistischen Politikern als äußerst notwendig für den Aufbau eines selbständigen Staates in Israel angesehen.
Die Hechaluz-Bewegung war bereits um die Jahrhundertwende gegründet worden und vereinte sozialistische Ideen und jüdisches Geschichtsbewusstsein. Nicht mehr das Blut sollte bestimmen, wer zur Familie gehörte, sondern die freie Vereinigung und die gemeinsam angestrebten Werte. Körperliche Arbeit bedeutete dabei nicht nur die Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern wurde als eigenständiger ethischer Wert betrachtet und schloss deshalb auch die Beschäftigung von Lohnarbeitern aus. Das erste Kibbuz Degania entstand bereits 1909 in der Nähe des Sees Genezareth.
Hinzu kamen die Forderungen der Briten, die für eine Einreise nach Palästina entweder den Nachweis über eine bestimmte Geldsumme oder eine Ausbildung in Landwirtschaft oder Handwerk verlangten.
Vor diesem Hintergrund entstanden vor allen Dingen im ländlichen Franken insgesamt 18 Kibbuzim – das erste davon bereits im Herbst 1945 in Zettlitz, Gemeinde Crottendorf mit bis zu 65 Bewohnern. Trotz der hohen Zahl von Menschen, die auf den doch vergleichsweise kleinen Gehöften zu versorgen waren, unterlagen auch die Kibbuzim der Abgabepflicht für landwirtschaftliche Produkte und lieferte lt. offiziellen Angaben z.B. in Zettlitz im Herbst 1946 7 t Kartoffeln, 7 t Heu, 4 t Stroh und 8 t Getreide bei den deutschen Behörden ab.
Ein eindrucksvolles Zeitzeugnis jener Zeit liefert der Dokumentarfilm „These are the People“, in dem auch das Kibbuz in Zettlitz zu sehen ist.
Video Spielberg Jewish Film Archiv
Das Kibbuz Afikim in Forkenhof wurde im Januar 1946 bezogen, wobei das Anwesen nach Angaben ehemaliger Bewohner zu dieser Zeit recht baufällig war und erst renoviert werden musste. Nach Abschluss der Arbeiten entwickelte sich der Forkenhof nach Angabe der jüdischen Wochenschrift „Undzer Wort“ zu einem der „szenste kibucim“ (jidisch: schönste Kibbuzim) in Deutschland.
Nach Renovierung des Wohngebäudes, des Tanzsaals und des Stalles wurden die Landmaschinen wieder in Betrieb genommen. Zum Hof gehörten 58 ha Wiesen und Ackerland, worauf Weizen, Kartoffeln und auch Zuckerrüben angebaut wurden.
Zusätzlich zu den landwirtschaftlichen Ausbildungsplätzen gab es in Forkenhof auch handwerkliche Lehrwerkstätten. Während die Frauen und Mädchen die Kleidung für die Gemeinschaft nähten, produzierten angehende Tischler und Schlosser Möbel und Werkzeuge für den täglichen Bedarf. Zugleich wurde die schon vor dem Krieg auf dem Anwesen bestehende Schmiede in Betrieb genommen und zahlreiche Schüler – auch aus Zettlitz – dort zu Schmieden ausgebildet.
Bei einem Vortrag berichtete der leitende Agronom, dass man den Ernteertrag auf das Dreifache hatte steigern können und bei der Milchqualität einen Fettgehalt von 4 % erzielt wurde. Alle produzierten Nahrungsmittel mussten aber auch hier beim Landrat in Bayreuth abgeliefert werden.
Bis Sommer 1946 hatten die ersten 80 landwirtschaftlichen Umschüler die Ausbildung beendet, 20 davon waren schon auf dem Weg nach Palästina, die Verbleibenden warteten ungeduldig auf ihre Ausreisegenehmigung. Im Juni 1947 weist die Statistik nochmals 57 Bewohner aus, danach sank die Zahl stetig und ab Januar 1948 lebten keine Juden mehr in Forkenhof.
Bis 1950 stand das Anwesen unter Verwaltung eines Treuhänders, danach durften Hans Höreth und seine Familie wieder auf ihr Anwesen zurückkehren.
Das Foto zeigt im Hintergrund den Forkenhof und im Vordergrund die Teilnehmer eines Melkkurses, der im Januar 1954 für die örtliche bäuerliche Dorfjugend abgehalten wurde. So ähnlich wird wohl auch wenige Jahre vorher die Ausbildung der Kibbuz-Bewohner ausgesehen haben.
Elke Bär