Beitrag im Nordbayerischen Kurier vom 4. Februar 1960
Die in weitem Umkreis und sicher auch bei vielen Bayreuther Naturfreunden bekannte „Hohe Fichte“, die am Waldrand im „Wolfsgraben“ bei Euben stand, fiel gestern der Säge und der Axt zum Opfer. Der bislang unter Naturschutz stehende Baumriese wurde, nachdem er im Wipfel dürr geworden war, von der Höheren Naturschutzstelle bei der Regierung von Oberfranken zur Fällung freigegeben.
Man sah es Bürgermeister Johann Schirmer aus Euben an, daß das schnarrende Geräusch der großen Handsäge, die sich Zentimeter um Zentimeter in den mächtigen Stamm der Fichte fraß, für ihn keine wohllautende Musik war. Als kurze Zeit später der Baumriese zu Boden stürzte, war Wehmut in seinen Augen deutlich zu lesen.
„Schon mein Großvater und mein Vater haben diesen Baum geliebt und mir selbst ist er von Kindheit an ein Zeuge kraftvoller Natur gewesen. Wann immer ich auch später meine Felder in dieser Gegend bearbeitete, er grüßte mich als vertrauter heimatlicher Freund. Es ist schon eine arge Lücke, die da jetzt entstanden ist…“
Bürgermeister Schirmer ist ein Sechziger und der Hof, inmitten dessen Feldern und Wäldern der Baumriese stand, ist inzwischen in den Besitz seines Sohnes übergegangen. „Von Jahr zu Jahr haben wir die Fällung verschoben“, erzählte er uns weiter, „aber nun mußte es sein, weil das Gebiet neu aufgeforstet werden soll und aus dem dürren Wipfel immer wieder Geäst herunterstürzte.“
Das war also der Grund, warum am Mittwoch Vormittag einige Männer unter Leitung des Haumeisters Pitroff zunächst mit der Axt einen keilförmigen Einschnitt in den Stamm schlugen, um ihm die Fallrichtung zu geben, und dann mit der großen Handsäge den Stamm zu durchschneiden begannen. An seinem mächtigen Wurzelstock hatten sie dafür eigens ein Gerüst aufbauen müssen.
Nach rund zweistündiger Arbeit krachte es merklich im Stamm und wenige Minuten später stürzte die „Hohe Fichte“ genau in der vorbestimmten Richtung zu Boden. Jetzt nahm Haumeister Pitroff ihre Maße: 35 Meter hoch, etwa vier Meter Stammumfang und anderthalb Meter Durchmesser. Er zog ein Buch heraus, in dem aus einer Tabelle nach diesen Maßen die Festmeter errechnet werden können. Aber diese Maße waren dort nicht mehr verzeichnet. „Ich komme viel herum und ich kann versichern, daß in weitem Umkreis bis in den Frankenwald kein solcher Baumriese steht“, sagte uns der Haumeister. „Acht, neun Festmeter, das sind schon die ganz großen, die wir noch haben, dieser hier aber hat mindestens 13 Festmeter!“ Der Stamm wies an der Schnittfläche, deren Jahresringe ein Alter von mindestens 250 Jahren verrieten, nur eine ganz geringfügige, von der Rinde in die Mitte verlaufende Faulstelle auf. „Ich kann mich entsinnen“, sagte einer der umstehenden Bauern, „daß man nach dem ersten Weltkrieg den Baum einmal angebohrt hat, um seine innere Beschaffenheit zu prüfen.“
Als Bürgermeister Schirmer den Platz des Geschehens verließ, wandte er sich noch einmal um: „Es ist schon eine arge Lücke…“